EuGH könnte Paradigmenwechsel beim Artenschutz einläuten

Der Europäische Gerichtshof (EuGH) steht vor einer wegweisenden Entscheidung mit weitreichenden Folgen für das deutsche Artenschutzrecht: In ihrem Schlussantrag vom 10. September 2020 sprach sich die Generalanwältin beim EuGH, Juliane Kokott, dafür aus, bei der Auslegung der Verbote aus der europäischen Vogelschutzrichtlinie „unverhältnismäßige Einschränkungen zu vermeiden“ (Az: C-437/19). Anlass ist ein Fall aus Schweden. Dort wird um eine Genehmigung zur Abholzung eines Waldes gestritten, in dem auch geschützte Vögel leben. Die Generalanwältin fordert in diesem Zusammenhang für alle Fälle, in denen die Tötung oder Störung von geschützten Vögeln nicht Zweck der entsprechenden Handlung ist, Verbote nur eintreten zu lassen, „soweit dies notwendig ist, um diese Arten auf einem Stand zu halten oder auf einen Stand zu bringen, der insbesondere den ökologischen, wissenschaftlichen und kulturellen Erfordernissen entspricht, und dabei den wirtschaftlichen und freizeitbedingten Erfordernissen Rechnung trägt.“

In der Konsequenz bedeutet das eine abwägende Populationsbetrachtung bei den Verboten des § 44 Abs. 1 Bundesnaturschutzgesetz (BNatSchG).  So könne vermieden werden, dass der Artenschutz zu „sehr weitreichenden Einschränkungen menschlicher Aktivitäten“ führe. Damit wäre nicht zuletzt auch eine Korrektur der bisherigen Rechtsprechung der nationalen Gerichte bis hin zum Bundesverwaltungsgericht verbunden. Diese lehnen bislang eine Populationsbetrachtung bei den Verboten des § 44 Abs. 1 BNatSchG ab und plädieren für den Schutz eines jeden Individuums vor einer signifikanten Erhöhung des Tötungsrisikos.

„Folgt der EuGH in seinem Urteil dem Votum der Generalanwältin, was häufig der Fall ist, kann das zu einer seit langem fälligen Entschärfung der sehr rigiden artenschutzrechtlichen Verbote führen“, sagt Rechtsanwalt Tobias Roß. „Da gerade das Artenschutzrecht häufig ein Hemmnis für große Infrastrukturvorhaben wie etwa die Errichtung von Windenergieanlagen darstellt, kommt dem anstehenden Urteil des EuGH damit erhebliche Bedeutung für die Planungspraxis zu.“

Ansprechpartner für alle Fragen des Windenergierechts in unserer Praxis sind die Rechtsanwälte  Janko Geßner,   Dr. Jan Thiele und Tobias Roß.

 

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