Kita (Macht) Schule Kita und Schule
Das Bild zeigt Schulkinder die fröhlich gemeinsam lachen und auf dem Weg zur Schule sind, das Bild dient als Beitragsbild zum Blogbeitrag 'Grundrecht auf Bildung' von Dombert Rechtsanwälte Franziska Wilke

Gibt es ein Grundrecht auf Bildung?

Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zur Bundesnotbremse ist klar und deutlich ausgefallen: Die Kontakt- und Ausgangsbeschränkungen zwischen April und Juni 2021 waren verfassungsgemäß (Beschluss vom 19.11.2021, Az.: 1 BvR 971/21, 1069/21). Auch das bundesweite Verbot von Präsenzunterricht, das erlassen wurde, um das Corona-Infektionsgeschehen einzudämmen, war somit rechtmäßig gewesen. Bemerkenswert ist, dass das Bundesverfassungsgericht im Zuge dieser Entscheidung ein neues Grundrecht definiert hat: Das Grundrecht auf Schulbildung.

Bereits zuvor wurde in der Fachwelt immer wieder darüber diskutiert, ob sich ein solches Recht auf Schulbildung aus der Verfassung ergibt. Zwar sprach schon immer dafür, dass die allgemeine Schulpflicht durch Artikel 7 Grundgesetz ausgestaltet wird. Danach werden sowohl das öffentliche als auch das private Schulwesen institutionell geschützt und allgemeine Leitlinien für den Schulbetrieb vorgegeben. Das Schulwesen zählte damit schon immer zum Grundrechtekanon. Ein Anspruch, eine Schule besuchen zu dürfen, erwächst daraus allerdings nicht direkt. Mit der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts steht nun fest, dass sich aus dem Grundgesetz mehr ergibt als es nach dem Wortlaut preisgibt.

Prüfungsmaßstab: Das neue Grundrecht auf schulische Bildung

Das Gericht knüpft hier an das Allgemeine Persönlichkeitsrecht des Kindes an (Artikel 2 Absatz 1 in Verbindung mit Artikel 1 Absatz 1 Grundgesetz). Zur Freiheit der eigenen Persönlichkeits- und Lebensgestaltung zählt nach Ansicht des Bundesverfassungsgerichts nunmehr auch die schulische Bildung. Danach haben alle Kinder und Jugendliche einen Anspruch auf einen unverzichtbaren Mindeststandard von Bildungsangeboten, die ihnen die chancengleiche Entwicklung einer eigenverantwortlichen Persönlichkeit ermöglichen – so lautet jedenfalls das hehre Ziel. Das Verbot von Präsenzunterricht steht dieser Möglichkeit jedoch entgegen und ist daher, nach Ansicht des Bundesverfassungsgerichts, als schwerwiegender Eingriff in das Grundrecht auf schulische Bildung zu werten.

Nach der Abwägung zwischen den verschiedenen Schutzpflichten des Staates ist dieses Verbot im Ergebnis dennoch verfassungsgemäß gewesen: Er musste so handeln, um gesundheitliche Gefahren aufgrund der Pandemie abzuwehren, zumal die Verhältnismäßigkeit gewahrt wurde. Die Schulschließungen waren an strenge Voraussetzungen – eine 7-Tage-Inzidenz von mindestens 165 – geknüpft. Zudem wurde gewährleistet, dass ersatzweise Distanzunterricht stattfand.

Die Herleitung des Rechts auf Schulbildung im Zusammenhang mit dem Allgemeinen Persönlichkeitsrecht des Kindes wirft die Frage auf, wie weit der Schutz dieses neuen Grundrechts reicht? Bildung beginnt nicht erst mit der Einschulung, sie findet auch nicht ausschließlich in der Schule statt. Genau genommen beginnt Bildung mit der Geburt eines jeden Kindes und entwickelt und verändert sich mit dem fortschreitenden Lebensalter. Sie ist somit von Beginn an Teil der Persönlichkeitsentwicklung des Kindes. Das Kind erfährt unter anderem Bildung, wenn es zwischen dem 1. und 3. Lebensjahr beginnt, eine Krippe oder Kita zu besuchen. Das Kinder- und Jugendhilferecht verleiht den Kindern sogar einen einklagbaren Anspruch auf frühkindliche Förderung, eher bekannt als Anspruch auf den Kita-Platz. Ab dem 5. Lebensjahr bieten die Kindertagesstätten mit der Vorschule regelmäßig ein Programm an, das auf die Schule vorbereiten soll. Es spricht somit Vieles dafür, den Schutzbereich dieses neuen Grundrechts zu erweitern – über die schulische Bildung hinaus.

Verfassungsbeschwerden gegen Kita-Schließung unzulässig

Die Kläger richteten ihre Verfassungsbeschwerden auch gegen die Schließung von Kindertagesstätten. Diese wies das Bundesverfassungsgericht zurück. Dabei hat es allerdings nicht in der Sache selbst entschieden: Die Beschwerden waren bereits unzulässig, weil die Möglichkeit einer Grundrechtsverletzung nicht ausreichend dargelegt worden war. Das Bundesverfassungsgericht erteilt damit einem Grundrecht auf Bildung auch im vor- oder außerschulischen Bereich nicht per se eine Absage. Für eine erfolgreiche Beschwerde hätte dargelegt werden müssen, inwieweit das Betreuungskonzept einer Kita Teil der Grundrechtsausübung des Kindes ist. Die Entscheidung gibt somit Gelegenheit, das mit erfreulicher Klarheit festgestellte Grundrecht auf Schulbildung weiterzuentwickeln und auszuforschen. Vieles spricht dafür, dass hinter dem Grundrecht auf Schulbildung eigentlich ein Grundrecht auf Bildung steht, was seine Wirkung bereits in den ersten Lebensjahren eines jeden Kindes und damit auch in den Kindertagesstätten entfaltet.

 

Zusammenfassung:

  1. Im Zuge der Entscheidung über die Coronabedingte sog. „Bundesnotbremse“ hat das Bundesverfassungsgericht die Existenz eines Grundrechts auf Schulbildung angenommen und damit ein neues Grundrecht definiert.
  2. Der Bezug zum Allgemeinen Persönlichkeitsrecht des Kindes wirft die Frage auf, ob das Grundrecht auf Bildung schon in der Krippe und Kita Wirkung entfaltet. Jedenfalls hat das Bundesverfassungsgericht einen weitergehenden Schutz als den der Schulbildung durch die Entscheidung nicht ausgeschlossen.
  3. Nunmehr obliegt es den Behörden und Fachgerichten, das Grundrecht auf Schulbildung bei Sachentscheidungen zu prüfen und es dadurch praxisgerecht auszugestalten und weiterzuentwickeln.

 

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