Kita (Macht) Schule Kita und Schule
Ein kraftvolles Bild zeigt das Bundesverwaltungsgericht als Wegbereiter für die gestärkten Rechte von Kindern, Eltern und freien Trägern. Die Darstellung visualisiert die positive Veränderung durch die Gerichtsentscheidungen und spiegelt die Dynamik dieser Entwicklung wider und dient als Titelbild für den Blogbeitrag von 'Dombert Rechtsanwälte' verfasst von Frau Dr. Schulte zu Sodingen.Für individuellere Betreuungskonzepte in der Kita müssen Eltern auch mehr zahlen.

Bundesverwaltungsgericht stärkt Rechte von Kindern, Eltern und freien Trägern

Das Bundesverwaltungsgericht hat die in Berlin geltende Obergrenze für Kita-Zuzahlungen der Eltern gekippt. Anders als die Vorinstanzen hielt es die 2018 eingeführte monatliche Begrenzung für rechtswidrig (Az.: 5 C 6.22 vom 26.10.2023). Mit diesem Urteil werden sowohl die Rechte der freien Kinder- und Jugendhilfeträger als auch der Kinder und Eltern gestärkt. Denn strikte Zuzahlungsobergrenzen sind nicht mit den Grundentscheidungen des Kinder- und Jugendhilferechts vereinbar, befand das Gericht. Bei der Ausgestaltung eines staatlichen Finanzierungssystems müssen vielmehr die bundesrechtlichen Strukturprinzipien der Trägervielfalt und der Trägerautonomie berücksichtigt werden.

Das Urteil wirkt sich nicht nur direkt auf die zukünftige Kita-Finanzierung in Berlin aus. Die Entscheidung hat auch grundsätzliche Bedeutung für das Kinder- und Jugendhilferecht und die öffentliche Kita-Finanzierung. In der Folge dürften auch Regelungen in anderen Bundesländern mit ähnlichen Beschränkungen oder sogar Verboten von Zuzahlungen an dem strengen Maßstab, den das Bundesverwaltungsgericht nun aufgezeigt hat, gemessen werden.

Die Rechtslage in Berlin

In Berlin ist die Kita-Betreuung – mit Ausnahme einer geringen Kostenbeteiligung der Eltern für das Mittagessen – seit August 2018 für alle Kinder beitragsfrei. Zuzahlungen der Eltern für besondere Angebote in den Kindertagesstätten wurden stark begrenzt. So dürfen freie Träger mit den Eltern nur noch Zuzahlungen von maximal 90 Euro pro Kind und Monat vereinbaren, wovon schon 30 Euro auf Frühstück und Vesper entfallen. Dagegen hatte die Private Kant-Schulen gGmbH geklagt, die in Berlin drei Kitas mit rund 400 Plätzen betreibt. Sie bietet eine bilinguale Betreuung der Kinder an und hat dadurch einen höheren Personalschlüssel. Dafür verlangte sie weiterhin höhere Zuzahlungen der Eltern, woraufhin das Land Berlin ihr die öffentlichen Zuschüsse kürzte. Dem Urteil zufolge muss das Land nun die einbehaltenen Zuschüsse von 200.000 Euro zurückzahlen.

Grundlage der streitigen Regelung ist die Rahmenvereinbarung über die Finanzierung und Leistungssicherstellung der Tageseinrichtungen für Kinder (kurz: RV Tag). Diese wurde zwischen dem Land Berlin und einigen Trägerverbänden in Vertretung der gesamten freien Trägerschaft abgeschlossen. Sie regelt die Kita-Finanzierung der freien Träger. Kita-Träger können nur dann öffentliche Finanzierungszuschüsse in Berlin in Anspruch nehmen, wenn sie dieser RV-Tag beigetreten sind. Das galt auch für die Klägerin. Dennoch konnte sie an den konkreten Verhandlungen, vor allem über die Zuzahlungsbeschränkung, nicht teilnehmen, da sie keinem der verhandelnden Trägerverbände angehört.

Eingriff in die Rechte der freien Träger

Mit seiner Entscheidung hat das Bundesverwaltungsgericht klargestellt, dass strikte Zuzahlungsobergrenzen nicht mit den Grundentscheidungen des Kinder- und Jugendhilferechts vereinbar sind und zu stark in die Rechte der freien Träger eingreifen. Das Gericht hat den Fall vorrangig am Maßstab des allgemeinen Gleichheitsgrundrechts aus Art. 3 Abs. 1 GG sowie dem Grundsatz der Trägerpluralität (§ 3 Abs. 1 SGB VIII) geprüft und entschieden. Die Entscheidung führt damit die hierzu im Jahr 2010 entwickelte Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts fort (Urt. v. 21.01.2010 – 5 CN 1.09).

Zwar ist eine Zuzahlungsbegrenzung nach Ansicht des Gerichts grundsätzlich ein legitimes Ziel, um die in Berlin geltende Elternbeitragsfreiheit für den Kita-Besuch abzusichern und die Chancengleichheit für alle Kinder zu gewährleisten. Hierfür sei die Maßnahme auch geeignet und erforderlich. Allerdings stelle die strikte Obergrenze ohne Berücksichtigung der pädagogischen Konzeption des Trägers und die hierfür notwendigen Mehrkosten eine unangemessene Regelung dar. Denn bei der Ausgestaltung der öffentlichen Kita-Förderung darf grundsätzlich nicht nach Wertorientierungen oder Inhalten, Methoden und Arbeitsformen der freien Träger differenziert werden. Freie Träger können auch in ihren pädagogischen Leistungsangeboten über das hinausgehen, was Behörden als erforderlich halten. Sie haben nach Ansicht des Gerichts daher auch das Recht, ihre Angebote nach den eigenen Vorstellungen sowie den Bedürfnissen der Eltern zu gestalten und die erforderlichen Mehrkosten über Zuzahlungen der Eltern abzudecken.

Darüber hinaus wird ein weiterer Grundsatz des Kinder- und Jugendhilferechts gestärkt: das Wunsch- und Wahlrecht der Kinder und Eltern. Denn nur durch die Öffnung des Finanzierungssystems für weitere (kostenintensivere) pädagogische Konzepte wird eine bedarfsgerechte frühkindliche Bildung ermöglicht. Das Urteil ebnet somit den Weg für mehr Vielfalt in der Kinderbetreuung, so dass die Bedürfnisse und Vorlieben der Eltern und ihrer Kinder berücksichtigt werden können.

Dies folgt aus dem vom Bundesverwaltungsgericht betonten verfassungsrechtlich geschützten Elternrecht aus Art. 6 Abs. 2 GG, das den Eltern einen grundsätzlichen Vorrang bei der Erziehung gewährt. Dieses elterliche Erziehungsprimat ist einfachgesetzlich in § 9 Nr. 1 SGB VIII verankert. Danach sind bei der Ausgestaltung der Leistungen und Aufgaben nach dem SGB VIII auch die von den Eltern bestimmten Grundrichtungen der Erziehung zu beachten. Das setzt jedoch wiederum voraus, dass auch entsprechende Einrichtungen, die den verschiedenen Grundrichtungen der Erziehung entsprechen, überhaupt existieren können. Der Grundsatz der Trägervielfalt und das Wunsch- und Wahlrecht bedingen sich somit gegenseitig.

Auswirkungen des Urteils :

  • Die frühkindliche Bildungslandschaft steht vor einer Vielzahl von Herausforderungen, die ihre Stabilität und Effektivität beeinträchtigen. Dazu zählt neben dem aktuellen Fachkräftemangel auch eine strukturelle Unterfinanzierung gerade der freien Träger, die in Deutschland mittlerweile zwei Drittel aller Kindertagesstätten betreiben – mit steigender Tendenz. Eine auskömmliche finanzielle Basis ist aber von entscheidender Bedeutung, um die Qualität der frühkindlichen Bildung auf einem hohen Niveau zu halten bzw. zu verbessern – zumal in vielen Bundesländern von den freien Trägern auch noch ein finanzieller Eigenanteil gefordert wird.
  • Das Urteil wirkt sich zunächst direkt auf die zukünftige Kita-Finanzierung in Berlin aus, da das Gericht die Unwirksamkeit der Regelung (Anlage 10 Abs. 6 RV Tag) festgestellt hat. Gleichwohl ist nicht zu erwarten, dass nun alle Kita-Träger in Berlin ihre Zuzahlungen erhöhen werden. Viele bieten bislang Angebote an, die entweder ohne Zuzahlungen auskommen oder unterhalb der strikten Zuzahlungsobergrenze liegen. Ohnehin gilt weiterhin der Grundsatz, dass jeder Träger verpflichtet ist, auf Wunsch der Eltern einen Platz anzubieten, für den keine Zuzahlungen bestehen. Diese Regelung hat das Gericht auch nicht beanstandet.
  • In der Folge könnten aber auch Regelungen in anderen Bundesländern mit ähnlichen Beschränkungen oder sogar Zuzahlungsverboten, wie etwa in NRW
    (vgl. § 51 Kinderbildungsgesetz – KiBiz), auf dem Prüfstand stehen.
  • Die Strukturprinzipien sind charakteristisch für das gesamte System der Kinder- und Jugendhilfe nach dem SGB VIII. Die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts dürfte sich daher auch auf das gesamte Leistungsspektrum des SGB VIII auswirken. Zunächst bleibt jedoch abzuwarten, wie das Gericht die Entscheidung begründen wird.
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