UMWELT(EN) WEITER. Umwelt und Klimaschutz
Tesla Baustelle Grünheide

Energiewende und Artenschutz – Ein Widerspruch?

Ende letzten Jahres veröffentlichte das Magazin Focus einen Beitrag unter der Überschrift „Mit Zauneidechsen gegen Tesla kämpfen: So sabotieren Naturschützer die Energiewende“. Aufhänger war der Beschluss des Oberverwaltungsgerichtes Berlin-Brandenburg, mit dem Tesla auf Antrag von NABU und Grüne Liga im Verfahren des Einstweiligen Rechtsschutzes untersagt wurde, weitere Teilflächen des geplanten Betriebsgeländes zu roden (AZ: 11 S 127/20 vom 18.12.2020). Das Gericht hielt  die Begründung der beiden Naturschutzvereinigungen für nachvollziehbar: In einem Teil der geplanten Rodungsbereiche könne ein Vorkommen der Zauneidechse und der Schlingnatter nicht ausgeschlossen werden.  Bei den Rodungsarbeiten, dem Einsatz von schweren Fahrzeugen oder anderen Eingriffen in die Erdoberfläche müsse damit gerechnet werden, dass dort zur Winterruhe eingegrabene Zauneidechsen und Schlingnattern, die nicht rechtzeitig vorher eingesammelt worden seien, getötet würden. Der Autor kann die Umwelt- und Naturschutzverbände nur schwer verstehen. „Einerseits kämpfen sie für Klimaschutz und gegen Umweltverschmutzung, wollen das arktische Eis für den Bär retten und ketten sich an die Werkstore von Braunkohle-Kraftwerken. Und andererseits verhindern sie mit Klagen den Ausbau der Windenergie oder den Bau einer Fabrik für Elektro-Autos. Bei Tesla muss nun wieder einmal die Zauneidechse herhalten,“ schreibt er. Der Beschluss des Oberverwaltungsgerichtes Berlin-Brandenburg fügt sich ein in eine Reihe von Beispielen, bei denen Umweltverbände aus Gründen des Artenschutzes erfolgreich gegen große Infrastrukturvorhaben ins Feld gezogen waren (u. a. Ausbau der Bundesautobahn 49, Planung der ICE-Trasse durch das Havelland, Bau der Waldschlösschenbrücke in Dresden). Das alles nährt den Eindruck, dass der Artenschutz mittlerweile das schärfste Schwert ist, um Projekte zu verhindern.

Die Motivation ist hierbei freilich unterschiedlich. Anerkannten Umweltvereinigungen auf der einen Seite geht es in aller Regel darum, behördliche Verfahren zu „überwachen“ und sicherzustellen, dass die gesetzlichen Vorgaben des Natur- und Artenschutzes auch tatsächlich eingehalten werden. Ihr spezielles Fachwissen soll bei Genehmigungsverfahren sogar von Gesetzes wegen zu Rate gezogen werden; das Naturschutzrecht sieht bei bestimmten Vorhaben die zwingende Beteiligung der Umweltverbände und ein sehr weitreichendes Klagerecht vor. Auf der anderen Seite stehen lokale Bürgerinitiativen, die sich regelmäßig aus Anlass eines bestimmten Vorhabens gründen und dabei ihre Herzen für die Umwelt entdecken. Dabei werden die Belange des Natur- und Artenschutzes oftmals nur instrumentalisiert, um die in der Nachbarschaft geplanten unliebsamen Projekte zu verhindern.

Meistens geht es dabei um die Anwendung der strengen artenschutzrechtlichen Vorschriften des Bundesnaturschutzgesetzes (BNatSchG). Nach § 44 Abs. 1 Nr. 1 BNatSchG ist es verboten, wild lebenden Tieren der besonders geschützten Arten nachzustellen, sie zu fangen, zu verletzen oder zu töten oder ihre Entwicklungsformen aus der Natur zu entnehmen, zu beschädigen oder zu zerstören. § 44 Abs. 5 Satz 1 BNatSchG stellt hierbei klar, dass ein solcher Verstoß nicht vorliegt, wenn die Beeinträchtigung durch den Eingriff oder das Vorhaben das Tötungs- und Verletzungsrisiko für Exemplare der betroffenen Arten „nicht signifikant erhöht“ und diese Beeinträchtigung bei Anwendung der gebotenen, fachlich anerkannten Schutzmaßnahmen nicht vermieden werden kann. Seit Jahren streiten sich nun Heerscharen von Fachleuten, was unter „Signifikanz“ in diesem Sinne zu verstehen ist. Die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (zuletzt Beschluss vom 07. Januar 2020 – 4 B 20/19) versucht, mit Hilfe einer mehr oder weniger verständlichen Formel den Begriff zu erhellen: „Das anhand einer wertenden Betrachtung auszufüllende Kriterium der Signifikanz trägt dem Umstand Rechnung, dass für Tiere bereits vorhabenunabhängig ein allgemeines Tötungs- und Verletzungsrisiko besteht, welches sich nicht nur aus dem allgemeinen Naturgeschehen ergibt, sondern auch dann sozialadäquat sein kann und deshalb hinzunehmen ist, wenn es zwar vom Menschen verursacht ist, aber nur einzelne Individuen betrifft. Denn tierisches Leben existiert nicht in einer unberührten, sondern in einer von Menschen gestalteten Landschaft. Nur innerhalb dieses Rahmens greift der Schutz des § 44 Abs. 1 Nr. 1 BNatSchG. Umstände, die für die Beurteilung der Signifikanz eine Rolle spielen, sind insbesondere artspezifische Verhaltensweisen, häufige Frequentierung des durchschnittenen Raums und die Wirksamkeit vorgesehener Schutzmaßnahmen, darüber hinaus gegebenenfalls auch weitere Kriterien im Zusammenhang mit der Biologie der Art. Eine signifikante Steigerung des Tötungsrisikos erfordert Anhaltspunkte dafür, dass sich dieses Risiko durch den Betrieb der Anlage deutlich steigert; dafür genügt weder, dass einzelne Exemplare etwa durch Kollisionen zu Schaden kommen, noch, dass im Eingriffsbereich überhaupt Exemplare betroffener Arten angetroffen worden sind.

Zum anderen – und dies ist oftmals die noch größere Hürde – bedeuten Artenschutz und Tötungsverbot im Sinne von § 44 Abs. 1 Nr. 1 BNatSchG grundsätzlich Individuenschutz. In dieser strengen Interpretation kann schon das Vorkommen eines Exemplars einer streng geschützten Art große Investitionsvorhaben verhindern. Dass dies nicht immer angemessen ist, scheint inzwischen auch der Europäische Gerichtshof (EuGH) zu erkennen, der vor einer wegweisenden Entscheidung steht. In ihrem Schlussantrag vom 10. September 2020 sprach sich die Generalanwältin beim EuGH, Juliane Kokott, dafür aus, bei der Auslegung der Verbote aus der europäischen Vogelschutzrichtlinie „unverhältnismäßige Einschränkungen zu vermeiden“ (Az: C-437/19). Die Generalanwältin fordert in diesem Zusammenhang für alle Fälle, in denen die Tötung oder Störung von geschützten Vögeln nicht Zweck der entsprechenden Handlung ist, Verbote nur eintreten zu lassen, „soweit dies notwendig ist, um diese Arten auf einem Stand zu halten oder auf einen Stand zu bringen, der insbesondere den ökologischen, wissenschaftlichen und kulturellen Erfordernissen entspricht, und dabei den wirtschaftlichen und freizeitbedingten Erfordernissen Rechnung trägt.“ In der Konsequenz bedeutet das eine abwägende Populationsbetrachtung bei den Verboten des § 44 Abs. 1 BNatSchG. So könne vermieden werden, dass der Artenschutz zu „sehr weitreichenden Einschränkungen menschlicher Aktivitäten“ führe. Damit wäre nicht zuletzt auch eine Korrektur der bisherigen Rechtsprechung der nationalen Gerichte bis hin zum Bundesverwaltungsgericht verbunden. Folgt der EuGH in seinem Urteil dem Votum der Generalanwältin, was häufig der Fall ist, kann das zu einer seit langem fälligen Entschärfung der sehr rigiden artenschutzrechtlichen Verbote führen. Da gerade das Artenschutzrecht häufig ein Hemmnis für große Infrastrukturvorhaben wie etwa die Errichtung von Windenergieanlagen darstellt, kommt dem anstehenden Urteil des EuGH damit erhebliche Bedeutung für die Planungspraxis zu.

 

Zusammenfassung:

  • Der Europäische Gerichtshof (EuGH) steht vor einer wegweisenden Entscheidung, die weitreichende Folgen für das deutsche Artenschutzrecht haben kann: In ihrem Schlussantrag vom 10. September 2020 sprach sich die Generalanwältin beim EuGH, Juliane Kokott, dafür aus, bei der Auslegung der Verbote aus der europäischen Vogelschutzrichtlinie „unverhältnismäßige Einschränkungen zu vermeiden“ (Az: C-437/19).
  • Danach sollen für alle Fälle, in denen die Tötung oder Störung von geschützten Vögeln nicht Zweck der entsprechenden Handlung ist, Verbote nur dann eintreten, „soweit dies notwendig ist, um diese Arten auf einem Stand zu halten oder auf einen Stand zu bringen, der insbesondere den ökologischen, wissenschaftlichen und kulturellen Erfordernissen entspricht, und dabei den wirtschaftlichen und freizeitbedingten Erfordernissen Rechnung trägt.“
  • In der Konsequenz bedeutet das eine abwägende Populationsbetrachtung bei den Verboten des § 44 Abs. 1 Bundesnaturschutzgesetz. Damit wäre nicht zuletzt auch eine Korrektur der bisherigen Rechtsprechung der nationalen Gerichte bis hin zum Bundesverwaltungsgericht verbunden
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