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Ist der Betrieb eines Kindergartens vergaberechtspflichtig?

Den steigenden Bedarf an Kita-Plätzen können öffentliche Träger allein nicht decken. Sie sind auf freie Kita-Träger angewiesen, damit rechtzeitig genügend Plätze für die Kindertagesbetreuung angeboten werden können. Damit stellt sich jedoch die wichtige Frage, welche rechtlichen Rahmenbedingungen Kommunen beachten müssen, wenn sie einen qualifizierten freien Träger mit dem Betrieb eines Kindergartens beauftragen wollen. Kontrovers diskutiert wird in diesem Zusammenhang, ob bei der Auswahl des Trägers ein förmliches Vergabeverfahren, insbesondere eine EU-weite Auftragsbekanntmachung, erforderlich ist. Zwar schreiben in letzter Zeit vermehrt Kommunen den Betrieb von Kindergärten öffentlich aus; dennoch werden in der Praxis Betreiberverträge regelmäßig vergeben, ohne dass vergaberechtliche Anforderungen beachtet werden.

Kita-Betrieb als Dienstleistung des Gesundheits- und Sozialwesens

Kürzlich hat sich der Vergabesenat des Thüringer Oberlandesgerichts mit dieser Frage befasst (Az.: Verg 2/20 vom 09.04.2021). Er stellte fest, dass der Betrieb eines Kindergartens der Kategorie „Dienstleistungen des Gesundheits- und Sozialwesens und zugehörige Dienstleistungen“ unterfalle und somit grundsätzlich vergaberechtspflichtig sei. Es gäbe für Kita-Betreiberverträge keine Ausnahme vom Vergaberecht; vielmehr seien die Vorschriften des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) anwendbar. Nach Ansicht des Gerichts lägen die Voraussetzungen für einen ausschreibungspflichtigen Dienstleistungsauftrag vor. Ausgeschlossen wurde hingegen eine Dienstleistungskonzession. Da die Kommune die erforderlichen Betriebskosten übernähme, hätte der Kita-Träger kein relevantes Betriebsrisiko.

Interessenbekundungsverfahren nicht ausreichend

In dem zu entscheidenden Fall hatte eine Gemeinde in Thüringen einen Kindergarten errichtet und suchte für den Betrieb einen freien Kita-Träger. Dieser sollte alle Personal-, Sach- und Betriebskosten zahlen sowie die Kita-Beiträge einziehen. Die Kommune wiederum sollte dem Träger die erforderlichen Betriebskosten erstatten sowie etwaige Defizite ausgleichen. Um einen Marktüberblick zu erhalten, führte die Kommune – explizit außerhalb des Vergaberechts – ein so genanntes Interessenbekundungsverfahren durch und wählte nach der Präsentation der verschiedenen Betriebskonzepte einen Betreiber aus. Damit zeigte sich ein unterlegener Bieter nicht einverstanden und rief die Vergabekammer an. Er argumentierte, dass der geschlossene Betreibervertrag unwirksam sei, weil der Auftrag ohne förmliches Vergabeverfahren erteilt worden sei.

Keine Sperrwirkung des Sozialrechts gegenüber dem Vergaberecht

Die Vergabekammer Thüringen gab seinem Antrag statt (Az.: 250 – 4003 – 4720 / 2020 – E – 009 vom 28.10.2020). Nach Ansicht der Kammer bestehe keine Gefahr, dass eine öffentliche Ausschreibung oder ein Wettbewerb das Leistungsangebot im neuen Kindergarten einschränke oder es sogar zu Qualitätsverlusten in der Kinderbetreuung kommen könnte. Durch die Festlegung qualitativer Zuschlagskriterien und einer ausreichend differenzierten Bewertungsmatrix könnte ein Preisdumping unter den Trägern verhindert und ein Qualitätswettbewerb sichergestellt werden.

Das besondere „sozialrechtliche Dreiecksverhältnis“ zwischen örtlichem Träger der öffentlichen Jugendhilfe, Kita-Träger und Eltern beziehungsweise Kind schließe auch nicht die Anwendung des GWB-Vergaberechts aus. Vielmehr seien Verträge im Geltungsbereich des Sozialgesetzbuches VIII (Kinder- und Jugendhilfe) ausschreibungspflichtige öffentliche Aufträge im Sinne des GWB.

Außerdem sei die Entscheidung für einen freien Träger als öffentlicher Auftrag zu qualifizieren, wenn der Betreibervertrag eine Verpflichtung des Trägers gegenüber der Kommune enthalte. Genau dies liegt auch in diesem Fall vor: Nach dem Thüringer Kita-Gesetz sind die Wohnsitzgemeinden verpflichtet, die erforderlichen Plätze in Kindertageseinrichtungen bereitzustellen. Die Kommunen nehmen diese Aufgabe als Pflichtaufgabe im eigenen Wirkungskreis wahr. Wenn sie dann diese Verpflichtung auf einen freien Träger übertragen, werden sie selbst von dieser Aufgabe nach dem Kita-Gesetz „frei“. Erfüllt der Kita-Träger diese vertraglich übertragene Aufgabe nicht, kann die Kommune ihn mit Rechtsmitteln zur Erfüllung dieser Aufgabe zwingen. Diese so genannte „einklagbare Erfüllungsverpflichtung“ ist ein notwendiges Kriterium für einen öffentlichen Auftrag.

Vergaberecht contra Wunsch- und Wahlrecht?

Der Beschluss der Vergabekammer Thüringen und die Bestätigung durch den Senat des Thüringer Oberlandesgerichts stehen in deutlichem Gegensatz zu bisherigen Rechtsauffassungen. Danach wurde das GWB-Vergaberecht für nicht anwendbar erklärt, wenn ein freier Träger den Betrieb eines neuen Kindergartens übernehmen sollte. Das Argument lautet, dass im Leistungserbringungsrecht der Kinder- und Jugendhilfe „Aufträge“ nicht durch den öffentlichen Träger der Jugendhilfe vergeben würden, da die freien Träger selbstständig tätig sind seien und nicht für den öffentlichen Jugendhilfeträger arbeiteten. Zudem wählten die Eltern im Rahmen des Wunsch- und Wahlrechts nach § 5 SGB VIII die Kitas aus, weshalb eine Ausschreibung beziehungsweise ein Vergabeverfahren nicht stattfinden könne. Das Wunsch- und Wahlrecht setze gerade voraus, dass auch eine Wahlmöglichkeit zwischen Angeboten und Leistungskonzepten bestehe. Gerade in diese Auswahlmöglichkeit greife der Auftraggeber aber ein, wenn er die geeigneten Träger im Wege der selektiven Bieterauswahl auf einen einzigen oder eine von ihm als angemessen angesehene Anzahl verkürze. Es wird nun befürchtet, dass nur noch das wirtschaftlichste Angebot den Zuschlag erhält und hierunter die Trägervielfalt leidet.

Fazit

Auch wenn nunmehr die Anwendung des Vergaberechts nicht mehr per se ausgeschlossen ist, dürfen gleichwohl die Strukturprinzipien des Sozialrechts, insbesondere die Trägervielfalt, die Selbstständigkeit der freien Träger, das Subsidiaritätsprinzip sowie das Wunsch- und Wahlrecht bei der Ausgestaltung des Vergabeverfahrens bzw. bei der Vergabeentscheidung nicht aus dem Blick geraten.  Dies war bislang auch das wesentliche Argument für die bisherige Rechtsauffassung.

Das OLG Thüringen hat mit seiner Rechtsprechung – zumindest bezogen auf das Thüringer Landesrecht – klargestellt, dass auch dann ein öffentlicher Auftrag vorliegt, wenn die Kommune dem Betreiber einer Kindertageseinrichtung lediglich einen Betriebskostenverlustausgleich zahlen muss. Hierin ist nicht lediglich ein vergaberechtsfreier Zuschuss zu sehen. Diese Finanzierungskonzeption sehen die meisten Kita-Gesetze der Länder vor. Es bleibt also abzuwarten, inwieweit sich die Rechtsprechung des OLG Thüringen auch auf die Vergaberechtspraxis für den Betrieb von Kindertageseinrichtungen in anderen Bundesländern auswirken wird.

 

Meine Empfehlungen:

  • Die Anwendung des Vergaberechts im Bereich der Trägerauswahl für den Betrieb einer Kindertageseinrichtung kommt grundsätzlich in Betracht. Ob im Einzelfall ein formales Vergabeverfahren durchzuführen ist, bestimmt sich nach den §§ 97 ff. GWB.
  • Es sind jedoch die landesrechtlichen Vorschriften der Kita-Gesetze und die darin verankerten Verpflichtungen der Kommunen genau zu prüfen. Hiervon hängt es ab, ob im konkreten Fall die Voraussetzungen für einen Dienstleistungsauftrag i.S.v. § 103 Abs. 4 GWB gegeben sind.
  • Entscheidet sich eine Kommune zur Durchführung eines förmlichen Vergabeverfahrens, sollte dieses zur Sicherstellung eines pluralen Angebotes die sozialrechtlichen Prinzipien der Trägervielfalt, der Trägerautonomie, des Subsidiaritätsprinzips sowie des Wunsch- und Wahlrechts bei den Auswahlkriterien berücksichtigen.

 

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