Seit dem Ausbruch des Angriffskriegs in der Ukraine suchen immer mehr Familien mit ihren Kindern Schutz in Deutschland. Viele Kinder sind im Kindergartenalter. Kindertageseinrichtungen können die schutzsuchenden Familien bei der Eingewöhnung unterstützen. Die Herausforderungen der (zeitweiligen) Integration der geflüchteten Kinder sind jedoch gewaltig, zumal der Kitabetrieb weiterhin stark durch die Corona-Pandemie und vor allem den Fachkräftemangel belastet ist. Die Aufnahmefähigkeit der Kindertagesstätten stößt daher oftmals an ihre Grenze. Hinzu kommen bürokratische Hürden. So wurden beispielsweise einigen ukrainischen Kindern der Kita-Besuch in Leipzig zunächst verwehrt, da nicht klar war, wer das Mittagsessen bezahlen sollte.
Im Folgenden soll erläutert werden, wie eine unbürokratische Aufnahme der ukrainischen Flüchtlingskinder gelingen kann.
Kinder haben gem. § 24 SGB VIII einen Rechtsanspruch auf Kindertagesbetreuung ab dem vollendeten ersten Lebensjahr bis zur Einschulung. Der Anspruch entsteht mit der Begründung eines gewöhnlichen Aufenthalts in Deutschland. Das gilt auch für Kinder, die sich am 24. Februar 2022 in der Ukraine aufgehalten haben und bis zum 23. Mai 2022 nach Deutschland einreisen. Denn sie halten sich gemäß der Ukraine-Aufenthalts-Übergangsverordnung auch ohne einen Aufenthaltstitel rechtmäßig in Deutschland auf; damit wird zugleich ein gewöhnlicher Aufenthalt in Deutschland begründet. Auf eine Zuweisung zu einem bestimmten Landkreis oder einer bestimmten kreisfreien Stadt kommt es insofern nicht an.
Deutschland ist zudem als Vertragsstaat nach dem Haager Kinderschutzübereinkommens verpflichtet, Schutzmaßnahmen gegenüber Flüchtlingskindern zu ergreifen. Hierunter fallen alle „individuellen Maßnahmen“, die im Interesse des Kindes erforderlich sind. Nach deutschem Recht sind dies auch sämtliche Leistungen und andere Aufgaben nach dem Kinder- und Jugendhilfegesetz (SGB VIII); hierunter fällt auch die Sozialleistung Kindertagesbetreuung.
Raum- und Personalnot
Über die Vergabe von Kita-Plätzen entscheiden die jeweiligen Träger nach ihren Auswahlkriterien und Prioritäten, wobei ukrainische Kinder weder bevorzugt, noch in ihren Rechtsansprüchen nachrangig behandelt werden. Ein Problem stellt jedoch die erschöpfte Aufnahmekapazität vieler Kindertageseinrichtungen dar. In vielen Bundesländern können Kitas deshalb jetzt mit Verweis auf die besondere Notlage vorübergehend von gesetzlichen Vorgaben zur Raumnutzung, Gruppenstärken und Personalschlüssel abweichen, soweit das Kindeswohl nicht gefährdet wird. In Niedersachsen ist es beispielsweise bis zum 31.07.2022 möglich, ein Kind mehr pro Gruppe aufzunehmen, als es der Fachkraft-Kind-Schlüssel normalerweise vorsieht (+1-Kind-Regelung). Zudem werden Betriebserlaubnisse für neue Einrichtungen oder Gruppen ohne weitere Prüfung genehmigt.
In Brandenburg prüft die Erlaubnisbehörde im Einzelfall, ob Raumstandards vorübergehend abgesenkt werden können, um ukrainische Kinder aufzunehmen. Dies ist abhängig von den konkreten Gegebenheiten vor Ort; es müssen insbesondere die baurechtlichen Voraussetzungen, vor allem zum Brandschutz, sowie Gesundheits-, Hygiene- und Infektionsschutz eingehalten werden. Nach dem Infektionsschutzgesetz dürfen nur Kinder mit einem ausreichenden Impfschutz gegen Masern in die Kindertagesbetreuung aufgenommen werden. Dies gilt auch für die Kinder aus der Ukraine. In diesem Zusammenhang müssen Einrichtungsträger einen nicht verständlichen ausländischen ärztlichen Nachweis nicht akzeptieren und können auf eine zeitnahe ärztliche Aufnahmeuntersuchung bestehen.
Zudem muss das erforderliche Fachpersonal zur Verfügung stehen. Träger können aber – wie bereits in der Corona-Pandemie – vorübergehend von der Personalbemessung des Kita-Gesetzes abweichen. Auch Fachkräfte aus der Ukraine können eingesetzt werden. Hierüber entscheidet der jeweilige Einrichtungsträger im Rahmen seiner Personalhoheit. Der Einsatz dieser Kräfte muss aber gegenüber der Erlaubnisbehörde angezeigt werden, nicht zuletzt wegen der Finanzierung des ukrainischen Personals. Denn da die geflüchteten Kinder einen Anspruch auf Kindertagesbetreuung nach § 24 SGB VIII haben, können die aufgenommenen Kinder grundsätzlich in vollem Umfang in die gesetzlich vorgesehene Kita-Finanzierung nach den jeweiligen Kita-Gesetzen der Länder einbezogen werden.
Meine Empfehlungen:
- Die unbürokratische Hilfe bei der Schaffung von zusätzlichen Betreuungsangeboten muss mit einer auskömmlichen Finanzierung der Kita-Träger für diese Zusatzbelastung einhergehen.
- Die vorübergehende Absenkung der Raum- und Personalstandards erleichtert es, neue Betreuungsangebote schnell zu schaffen; Träger von Einrichtungen sollten sich aber vor der Aufnahme von Kindern aus der Ukraine mit den Jugendämtern und Aufsichtsbehörden beraten.
- Eine generelle Absenkung der Kita-Standards bedarf gesetzlicher Normierungen; eine Erhöhung des Personalschlüssels ohne entsprechende Refinanzierung würde die Fachkräftesituation und die angespannte Lage auf dem Arbeitsmarkt weiter verschlechtern.