UMWELT(EN) WEITER. Umwelt und Klimaschutz
Das Bild zeigt Windenergieanlagen an Land und dient als Beitragsbild zum Blogbeitrag von Janko Geßner zum Thema 'Klimaschutz vor Artenschutz?' von Dombert Rechtsanwälte Potsdam und Düsseldorf.

Das neue Windenergieflächenbedarfsgesetz: Klimaschutz vor Artenschutz?

Jahrelang haben Rotmilan, Fledermaus und Co. die Genehmigungsverfahren von Windenergieanlagen an Land erheblich verzögert und häufig auch ganz blockiert. Vorhabenträger wurden dazu verpflichtet, aufwändige und kostspielige Gutachten samt Kartierungen zu erstellen, um möglichst jeden einzelnen fliegenden Vogel zu erfassen und durch die Windenergieanlagen nicht zu gefährden. Dennoch waren nach einer Untersuchung der Fachagentur Windenergie an Land zu den „Hemmnissen beim Ausbau der Windenergie an Land“ artenschutzrechtliche Bedenken der häufigste Ablehnungsgrund.

Vorhabenträger sollen es nun künftig deutlich einfacher haben, ihre Projekte umzusetzen. Mit den beschlossenen Verfahrenserleichterungen in bestehenden oder zukünftigen Windenergiegebieten (§ 6 Windenergieflächenbedarfsgesetz – WindBG) erfährt die Genehmigungspraxis einen grundlegenden Paradigmenwechsel: Für Windenergieanlagen, die in ausgewiesenen oder in zukünftigen Windenergiegebieten errichtet werden, sollen – zunächst für einen Übergangszeitraum von 18 Monaten – die Umweltverträglichkeitsprüfung (UVP) und die artenschutzrechtliche Prüfung entfallen. Diese Regelung geht auf die EU-Notfall-Verordnung 2022/2577 des Rates vom 22.12.2022 zum beschleunigten Ausbau der Windenergie an Land zurück.

Vollzugsleitfaden im Umlauf

Um dem Ausbau der Windenergie an Land auch die erhoffte Dynamik in der Praxis zu verschaffen und vor allem auch um eine bundeseinheitliche Umsetzung zu garantieren, hat das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) einen Vollzugsleitfaden für § 6 WindBG entworfen. Dieser befindet sich derzeit noch in der Länder- und Verbändeanhörung. Auch das Bundesland Hessen hat bereits einen eigenen Erlass zu den „Neuregelungen zur Beschleunigung des Windenergieausbaus“ herausgegeben, der sich auch mit § 6 WindBG befasst. Mit den vorgesehenen Erleichterungen für Windenergieanlagen, die zum großen Teil auf Änderungen des Raumordnungsgesetzes und anderen Vorschriften beruhen, sind nämlich eine Reihe praktischer Fragen verbunden. Das betrifft vor allem die Anwendungsvoraussetzungen der neuen Beschleunigungs-Norm:

Die Erleichterungen nach § 6 WindBG gelten nur für die Genehmigung solcher Vorhaben, die in einem ausgewiesenen Windenergiegebiet errichtet werden sollen. Dieses Gebiet darf wiederum nicht in einem Natura-2000-Gebiet, einem Naturschutzgebiet oder einem Nationalpark liegen. Praktisch relevant wird dies vor allem für die Natura-2000-Gebiete, da es Bundesländer gibt, in denen Vorranggebiete in Natura-2000-Gebieten liegen, zum Beispiel in Hessen.

Die Vorschrift gilt für Vorranggebiete in Raumordnungsplänen, für Sondergebiete in Flächennutzungsplänen und Bebauungsplänen (auch für solche Flächen, die in Bestandsplänen bisher schon ausgewiesen worden sind!) sowie für Planentwurfsgebiete, wenn der Plan bis zum Zeitpunkt der Anlagengenehmigung rechtskräftig geworden ist. Voraussetzung ist alleine, dass eine strategische Umweltprüfung auf Ebene der Regional- beziehungsweise Bauleitplanung für das Windenergiegebiet durchgeführt worden ist. Dies ist jedoch nur eine formale Hürde, weil diese Voraussetzung regelmäßig gegeben ist.

Der Grund dafür: Der deutsche Gesetzgeber schreibt ohnehin seit 2004 für alle relevanten Planungen eine Umweltprüfung vor. Daher gilt: Ob die Umweltprüfung schon einige Jahre alt oder sogar fehlerhaft ist, spielt für die Anwendbarkeit von § 6 WindBG keine Rolle. Entscheidend ist nur, dass der Plan in Kraft ist. Der Gesetzgeber wollte damit vermeiden, dass die Genehmigungsbehörden die Alt-Pläne zunächst auf ihre Rechtmäßigkeit überprüfen müssen – damit wäre auch die notwendige Beschleunigung nicht zu erreichen.

Darüber hinaus soll in den Windenergiegebieten auch die artenschutzrechtliche Prüfung jedenfalls im Hinblick auf die vom Vorhabenträger einzureichenden Unterlagen komplett entfallen. Vorhabenträger müssen also nicht länger zeit- und kostenintensive Kartierungen vorlegen. Vielmehr soll die Behörde auf der Grundlage der bei ihr vorhandenen Daten entscheiden. Diese dürfen aber in der Regel nicht älter als fünf Jahre sein und müssen auch hinreichend räumlich genau sein. So sollte zum Beispiel im Hinblick auf Brutvogelarten der Brutplatz konkret bekannt sein, um den Abstand zwischen Brutplatz und Windenergieanlage bestimmen zu können. Die Behörde muss sodann entscheiden, ob die Informationen sowohl hinreichend aktuell als auch in der Sache ausreichend sind.

Ist das der Fall, hat sie auf der Basis der vorhandenen Daten „geeignete und verhältnismäßige Minderungsmaßnahmen“ anzuordnen, wenn erkennbar ist, dass in dem Gebiet eine Verletzung von artenschutzrechtlichen Verboten droht. Diese Prüfung muss sie also weiterhin vornehmen. Drohen keine Verbotstatbestände einzutreten, dürfen auch keine Maßnahmen angeordnet werden. Zum Schutz der Fledermäuse sieht der Gesetzgeber eine Abregelung der Windenergieanlage und ein zweijähriges Monitoring vor.

Liegen der Behörde jedoch – wie häufig – keine Daten vor, sind diese nicht hinreichend aktuell oder fehlt es an geeigneten und verhältnismäßigen Minderungsmaßnahmen, kann der Vorhabenträger zu Kompensationszahlungen herangezogen werden. Diese betragen – wenn keine Maßnahmen angeordnet werden, etwa weil keine Daten vorliegen – jährlich 3.000 Euro je Megawatt installierter Leistung. Darüber entscheidet ebenfalls die Genehmigungsbehörde und legt die jährliche Zahlung zusammen mit der Genehmigung fest. Dabei sollen die Behörden laut Vollzugsleitfaden verschiedenen Minderungsmaßnamen nach dem Erhaltungsgrad der Arten gewichten und entsprechend priorisieren.

Doppelprüfungen entfallen

Insgesamt sind die Genehmigungserleichterungen für den Ausbau der Windenergie an Land nach § 6 WindBG von erheblicher praktischer Bedeutung, da kosten- und zeitaufwändige Doppelprüfungen entfallen und auch das Tötungsverbot nach § 44 Bundesnaturschutzgesetz jedenfalls innerhalb der Windenergiegebiete in keinem Fall mehr zur Ablehnung von Genehmigungsanträgen führen kann. Auch enthält der Vollzugsleitfaden wünschenswerte Klarstellungen für die Praxis. Voraussetzung dafür ist allerdings, dass er zügig in der Endfassung veröffentlicht wird.

Gleichwohl sind längst noch nicht alle Punkte geklärt – allen voran die Frage, welche Rechtsverbindlichkeit ein solcher Leitfaden letztlich besitzt. Auch die Kombination des § 6 WindBG mit anderen Regelungen zur erleichterten Genehmigung von Windenergieanlagen, etwa mit dem § 16b BImSchG für Repowering-Vorhaben oder dem § 245e Abs. 3 BauGB für Genehmigungen aufgrund von Planentwürfen bietet spannende Fragestellungen. Offen ist auch die Frage, wie im Rahmen des § 6 WindBG mit konkurrierenden Genehmigungsanträgen umzugehen ist. Der auf die richtige Vorschrift gestützte Antrag zur richtigen Zeit – noch nie waren taktische verfahrensrechtliche Überlegungen so wichtig wie bisher.

 

Meine Empfehlungen:

  • Neubewertung von Projekten mit artenschutzrechtlichen Hürden und Hindernissen nach § 6 WindBG vornehmen!
  • Projektspezifische und finanzielle Prüfung vornehmen, ob der Genehmigungsbehörde noch Unterlagen vom Vorhabenträger zur Verfügung gestellt werden oder nicht; dies gilt vor allem in Projekten, in denen Untersuchungen ohnehin schon beauftragt oder durchgeführt sind
  • Verfahrensrechtliche Antragsstrategien überdenken!
  • Enge Kooperation und Austausch mit Genehmigungsbehörden – auch für diese ist die Rechtslage neu und herausfordernd!
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