Die Herausforderungen für die neue Legislaturperiode sind immens. Darin sind sich wohl alle einig. So wie es die Kunst des Koalierens ist, unterschiedliche Parteien in einer Regierung zu vereinen, wird diese Regierung vor allem diese zum Teil gegenläufigen Herausforderungen bewältigen müssen. Sie wird an der einen Stelle Abstriche machen müssen, um an der anderen ein Ziel zu erreichen. Im Bauplanungsrecht nennt sich das Abwägung.
Ein Beispiel dieser Abwägung ließ sich zuletzt in Pankow beobachten. Dort hatte der Berliner Bezirk vor zwei Jahren den Klimanotstand ausgerufen. Mit diesem kommunalpolitischen Appell, der in Deutschland zuerst durch die Stadt Konstanz bekannt geworden ist, mahnen mittlerweile viele Städte und Gemeinden, den dringenden Handlungsbedarf beim Klimaschutz an. Rechtliche Konsequenzen folgen daraus unmittelbar nicht. In der Regel fordern die Kommunalparlamente die Verwaltungen in diesem Zusammenhang etwa zur Ausarbeitung bestimmter Programme auf oder verpflichten die eigene Kommune, unter verschiedenen Handlungsoptionen die jeweils klimagünstigste zu wählen.
Mit der Gesobau wollte nun ausgerechnet ein landeseigenes Wohnungsbauunternehmen Berlins die aus den 1950er Jahren stammende Wohnanlage in der Ossietzkystraße nachverdichten, um so dringend benötigten Wohnraum zu schaffen. Zuletzt sollten immerhin noch 100 Wohneinheiten in den bislang grünen Innenhöfen errichtet werden. Mit dem Plan der Nachverdichtung der Nachkriegswohnanlage befand sich die Gesobau auf der Linie des Berliner Stadtentwicklungsplans 2030 und auch des Berliner Senates. Auf der Linie der Bezirksverordnetenversammlung lag das Wohnungsbauunternehmen allerdings nicht. Diese beschloss in Anbetracht des vorliegenden Bauantrages einen „Klimaschutz-Bebauungsplan“. Dabei ging es jedoch nicht allein darum, die Innenhöfe freizuhalten. Vielmehr werden Flächen für Bepflanzungen und die Erhaltung von Bäumen, Sträuchern und sonstigen Bepflanzungen festgeschrieben, um sicherzustellen, dass die Grundidee der begrünten Blockinnenbereiche erhalten bleibt. Gänzlich ausgeschlossen wird eine Nachverdichtung mit dem Bebauungsplan nicht, aber auf ein aus Sicht des Bezirkes „behutsames“ Maß beschränkt. Zur Begründung der Entscheidung des Bezirkes wird erstmals auch der Klimanotstand herangezogen. Im Ergebnis räumt die bauleitplanerische Abwägung damit den Belangen des Klimaschutzes und der Klimaanpassung, wie sie als städtebauliche Leitbilder im Baugesetzbuch (§ 1 Abs. 5 BauGB) ausdrücklich erwähnt sind, Vorrang vor dem Ziel des Wohnungsbaus ein. Mit der Freihaltung von Flächen sollen angesichts steigender Temperaturen Frischluftschneisen in der Stadt erhalten bleiben und für ein gesundes Mikroklima sorgen.
Juristisch ist dieses Ergebnis indes nicht zwingend. Dem Klimaschutz und der Klimaanpassung kommen zwar steigende Bedeutung zu. Einen Vorrang gegenüber anderen Belangen hat aber auch das Bundesverfassungsgericht in seiner prominenten und weitreichenden Entscheidung zum Klimaschutzgesetz nicht postuliert. Für die Bauleitplanung entspricht dies gefestigter und ständiger Rechtsprechung der Verwaltungsgerichte. Die Städte und Gemeinden sind als Träger der Planungshoheit aufgefordert, selbst zwischen Klimaschutz und Wohnungsbau abzuwägen. Sie müssen dabei gerecht vorgehen und für jeden Einzelfall entscheiden, welchem Belang sie den Vorzug geben wollen und welcher damit notwendigerweise zurückgestellt wird. Diese mitunter schwierige Aufgabe wird den Städten und Gemeinden auch durch die Ausrufung des Klimanotstandes nicht abgenommen.
Der Berliner Bezirk Pankow hat seine Entscheidung getroffen und sie wird wohl Bestand haben. Die Gesobau hat ihre Klage auf Erteilung der beantragten Baugenehmigung mittlerweile zurückgenommen.
Meine Empfehlungen:
- Das Gebot gerechter Abwägung ist Kernstück eines jeden Bauleitplanverfahrens. Die Rechtsprechung verlangt von den planenden Kommunen wörtlich, alles in den Blick zu nehmen, was nach der Lage der Dinge zu berücksichtigen ist.
- In Anbetracht dieser begrifflichen Weite ist den Städten und Gemeinden dringend geraten, alle auch nur potentiell in Betracht kommenden Belange, die für oder gegen eine entsprechende Planung streiten, umfassend zu ermitteln und zu gewichten.
- Die erforderliche Abwägung kann auch durch städtebauliche Entwicklungs- oder Klimaschutzkonzepte nicht vorweggenommen werden. Da keinem städtebaulichen Belang ein abstrakter Vorrang gegenüber den anderen Belangen zukommt, ist die planende Kommune stets gehalten, einen im Einzelfall gerechten Ausgleich zu finden. Das Ergebnis der Abwägung ist damit in der Regel nicht vorgegeben.