Die EU-Kommission wird Deutschland vor dem Europäischen Gerichtshof verklagen. Die Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie (FFH-Richtlinie) sei nur unzureichend umgesetzt und damit gegen geltendes Naturschutzrecht verstoßen worden, lautet der Vorwurf. Die Richtlinie soll dazu beitragen, die Vielfalt der Ökosysteme, der Arten sowie die genetische Vielfalt innerhalb der Arten zu erhalten. Die Stärkung der biologischen Vielfalt, die sich die EU auch mit ihrer Biodiversitätsstrategie 2030 zur Aufgabe gemacht hat, soll unter anderem mit dem Aufbau des europäischen Schutzgebietsnetzes Natura 2000 erreicht werden. Danach müssen die EU-Mitgliedstaaten Gebiete nennen, erhalten und entwickeln, in denen Arten und Lebensräume von europaweiter Bedeutung vorkommen. Gemessen hieran habe Deutschland eine bedeutende Anzahl von Gebieten noch immer nicht als besondere Schutzgebiete ausgewiesen, so die Kritik der Kommission.
Die Klage erhöht den Druck auf Deutschland, diesen Pflichten nachzukommen, aber auch auf die Nutzungskonflikte vor Ort. Denn nicht jeder Grundstückseigentümer ist damit einverstanden, dass sein Grundstück zum „Schutzgebiet“ wird. Doch nicht nur im europäischen Maßstab gibt es Bedenken, Grundstücke, selbst nur vorübergehend, für Maßnahmen des Naturschutzes zu überlassen. Dabei gibt es reichlich Potenzial für eine solche Übergangsnutzung, wie die Stiftung Rheinische Kulturlandschaft im Rahmen ihres Forschungs- und Entwicklungsvorhaben „Natur auf Zeit“ 2019 ermittelt hat: So stehen in Deutschland zum Beispiel 120.000 ha Industriebrachen im innerstädtischen Bereich, 260.000 ha Flächen des rohstoffabbauenden Gewerbes oder 1.000 ha ungenutzte Verkehrsflächen zur Verfügung, um für den Naturschutz und zur Stärkung der Biodiversität aufgewertet zu werden.
Die Vorteile hierfür liegen auf der Hand: Auch in einem nur begrenzten Zeitraum könnten Naturschutzmaßnahmen zur punktuellen Stadtdurchgrünung, für Erholungszwecke und zur Verbesserung der Funktionsfähigkeit des Naturhaushalts (zum Beispiel Stadtklima, Wasserhaushalt) beitragen. Zudem könnte auf diesen Flächen naturschutzrechtliche Kompensationsmaßnahmen umgesetzt werden.
Gleichwohl wird noch zu oft gezögert. Investoren und Grundstückseigentümer befürchten oftmals, in eine „ökologische Falle“ zu tappen, wenn geschützte Arten angelockt werden oder sich geschützte Biotope entwickeln und dadurch eine spätere gewerblichen Nutzung auf diesen Flächen aufgrund von natur- und artenschutzrechtlichen Verboten scheitert. Dieses Dilemma hat auch die Bundesregierung erkannt. Einen Ausweg will sie mit dem Entwurf eines Dritten Gesetzes zur Änderung des Bundesnaturschutzgesetzes schaffen.
Die Gesetzesnovelle sieht vor, in § 1 folgenden neuen Absatz zu ergänzen: „Den Zielen des Naturschutzes und der Landschaftspflege können auch Maßnahmen dienen, die den Zustand von Biotopen und Arten durch Nutzung, Pflege oder das Ermöglichen ungelenkter Sukzession auf einer Fläche nur für einen begrenzten Zeitraum verbessern.“ Zudem wird im neuen § 2 Abs. 7 klargestellt, dass der Bereitschaft privater Personen, Unternehmen und Einrichtungen der öffentlichen Hand bei der Verwirklichung der Naturschutzziele und der Landschaftspflege eine besondere Bedeutung zukommt. „Soweit sich der Zustand von Biotopen und Arten aufgrund freiwilliger Maßnahmen wie vertraglicher Vereinbarungen oder der Teilnahme an öffentlichen Programmen zur Bewirtschaftungsbeschränkung auf einer Fläche verbessert, ist dieser Beitrag bei behördlichen Entscheidungen nach diesem Gesetz oder nach dem Naturschutzrecht der Länder im Zusammenhang mit der Wiederaufnahme einer Nutzung oder einer sonstigen Änderung des Zustandes dieser Fläche, auch zur Förderung der zukünftigen und allgemeinen Kooperationsbereitschaft, begünstigend zu berücksichtigen.“ Weitere Details sollen in einer Rechtsverordnung geregelt werden.
Damit die temporären Naturschutzmaßnahmen die Wiederaufnahme einer gewerblichen Nutzung durch zwischenzeitlich angesiedelte Tiere nicht verhindern, sollen die zuständigen Genehmigungsbehörden nach der Gesetzesbegründung bei der Erteilung artenschutzrechtlicher Ausnahmen nach § 45 Abs. 7 BNatSchG in besonderem Maße den Umstand berücksichtigen, dass freiwillig „Natur auf Zeit“ zugelassen wurde. Zu wünschen ist, dass die Naturschutzbehörden in Zukunft von ihrem Ermessen auch großzügig Gebrauch machen und es für Investoren kein „böses Erwachen“ gibt. Denn jedem sollte klar sein, dass privates Naturschutzengagement unabdingbar ist, um den Rückgang der Biodiversität aufzuhalten.
Meine Empfehlungen:
- Unternehmen und Grundstückseigentümer sollten prüfen, ob auf ihren Flächen Naturschutzprojekte auf Zeit möglich sind. Bereits vor Beginn der Maßnahme sollten die vorkommenden Arten fachlich geprüft und erhoben werden. Nur so lässt sich später auch abgrenzen, welche Tiere sich innerhalb des Zeitraums für „Natur auf Zeit“ angesiedelt haben. Für sie muss gegebenenfalls eine artenschutzrechtliche Ausnahme eingeholt werden, wenn die Fläche wieder gewerblich genutzt werden soll.
- Zur rechtlichen Absicherung sollte vor Beginn Kontakt mit der zuständigen Naturschutzbehörde aufgenommen werden, um für „Natur auf Zeit“ eventuell erforderliche Antragsunterlagen, den Zeitrahmen und die spätere Wiederaufnahme der gewerblichen Nutzung abzustimmen. Kooperationen mit Naturschutzverbänden können hilfreich sein.
- Der genaue rechtliche Rahmen soll nach Inkrafttreten der 3. Änderung des Bundes-Naturschutzgesetzes in einer Rechtsverordnung geregelt werden. Deren Inhalt bleibt abzuwarten.