Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat in seinem Urteil vom 22.04.2021 (Az.: C-537/19) die Grenzen der Ausschreibungspflicht bei Grundstücksverträgen konkretisiert. In dem vorliegenden Fall hatte eine große kommunale Hausverwaltung einen Mietvertrag über einen Bürokomplex abgeschlossen, den der private Vermieter und Grundstücksbesitzer erst noch errichten musste. Der Fall beschäftigte die Europäische Kommission. Sie war der Auffassung, dass es sich um einen vergaberechtlich relevanten Bauauftrag handelte, weil der öffentliche Auftraggeber einen wesentlichen Einfluss auf die Gebäudegestaltung genommen hatte. Dafür sprach ihrer Ansicht nach auch, dass zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses noch keine Baugenehmigung für das Gebäude vorlag.
Der EuGH beurteilte den Fall jedoch anders. Er hob unter anderem hervor, dass die bloße Bezeichnung eines Vertragsverhältnisses als Mietvertrag nicht für eine entsprechende Einordnung ausreiche. Vielmehr sei allein die tatsächliche Ausgestaltung des Vertrags hierfür entscheidend. Gerade in diesem Fall ging diese Ausgestaltung des Vertrags nicht über die normalen Regelungen eines Mietvertrags hinaus. Nach Auffassung des Gerichts ist es nämlich üblich, dass ein Mieter Wünsche und Anforderungen an die genaue Ausgestaltung der Innenräume festlegt, insbesondere, wenn das Gebäude für eine solche flexible Ausgestaltung geplant worden ist. Die Grenze zu einem ausschreibungspflichtigen Bauauftrag ist erst dann überschritten, wenn der öffentliche Auftraggeber die architektonische Gebäudestruktur, etwa den Baukörper oder die Ausgestaltung der Außenwände beeinflusst. Auch die zunächst bei Vertragsschluss fehlende Baugenehmigung führt zu keinem anderen Ergebnis, weil es bei solchen Projekten üblich ist, dass erst mit ausreichender Anzahl von Mietern mit dem Bauvorhaben gestartet wird.
Nach Auffassung von Rechtsanwalt Janko Geßner zeigt die Entscheidung des EuGH, dass die Grenze zwischen einer Ausschreibungspflicht und einem vergaberechtsfreien Vorgang fließend ist. „Eine einzelfallbezogene und genaue Prüfung vor Vertragsabschluss ist für den öffentlichen Auftraggeber unabdingbar“, so Rechtsanwalt Philipp Buslowicz.
Ansprechpartner für alle Fragen des Vergabe- und privaten Baurechts in unserer Praxis sind Rechtsanwalt Janko Geßner, Rechtsanwältin Madeleine Riemer, Rechtsanwältin Dr. Janett Wölkerling, M. mel. und Rechtsanwalt Philipp Buslowicz, LL.M..
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